Nichts ist wie zuvor. Das galt im schnelllebigen PropTech-Markt bisher schon jedes Jahr aufs Neue. Doch in 2020 haben das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Veränderung neue Dimensionen erreicht. Ende 2019 wurden wir als PropTech-Enthusiasten noch mit einem Allzeithoch des Finanzierungsvolumens von knapp 215 Millionen Euro - gemessen an Runden über eine Million Euro - und einer, trotz ersten Marktaustritten, weiter solide wachsenden Unternehmensanzahl verwöhnt. Und so waren wir bis Ende Februar auch guter Dinge für 2020. Eine weitere Konsolidierung wurde erwartet, wie in jedem neuen Markt üblich und wichtig. Doch insgesamt standen die Zeichen auf Wachstum und Produktivität, ganz nach dem „Gartner Hype-Cycle“: Das Tal der Desillusionierung war erreicht und wir bereit es zu durchschreiten. Vielleicht sogar ohne ganz große Verluste. Doch angesichts der Einschränkungen und Veränderungen im Rahmen von SARS-CoV-2 (umgangssprachlich auch Corona-Virus) ist bekanntermaßen nichts wie zuvor, auch nicht im PropTech-Markt.
Prognosen und Handlungsempfehlungen bekommt man in der aktuellen Zeit zu Allem, von Jedem und ständig. Grundsätzlich stellt die aktuelle Krise aber einen nie da gewesenen Umstand dar, weshalb es schwierig ist, Schlüsse aus der Vergangenheit zu ziehen. Der PropTech-Markt bietet darüber hinaus wenig historische Daten. In der letzten Rezession, ausgelöst durch die globale Finanzkrise, war der Gesamtmarkt noch viel zu klein (63 Unternehmen in 2008), um eine zuverlässige Bewertung durchzuführen. Aus diesem Grund beziehen sich meine Prognosen für 2020 auf unsere aktuellsten Zahlen und Bewertungen für das Jahr 2019, deren Interpretation nun neu durchgeführt werden kann und muss.
Aussage 1: Der Markt ist auch in 2019 beständig weiter gewachsen
Dies wird sich in 2020 definitiv nicht wiederholen. Zwar werden in und vor allem nach wirtschaftlichen Krisen erfahrungsgemäß mehr Unternehmen gegründet, kurzfristig wird dies jedoch nicht die Effekte der natürlichen Konsolidierung und der Marktaustritte aufgrund der Einschränkungen durch den Corona-Virus ausgleichen. Im besten Fall wird die Anzahl der Unternehmen stagnieren, wir gehen jedoch eher von einem Rückgang aus. Grundsätzlich ist Konsolidierung in einem solch jungen Markt kein Problem, sondern ein natürlicher Vorgang, der die Spreu vom Weizen trennt. Wir hoffen nun, dass es in dieser Krise nicht viele Unternehmen treffen wird, die aufgrund des Produkts oder ihrer Technologie eine Daseinsberechtigung haben. Auch solche Fälle wird es aber aufgrund der Zurückhaltung von Auftrags- sowie Investitionsentscheidungen von Corporates und Investoren definitiv geben.
Aussage 2: 2019 brachte ein erneutes Allzeit-Hoch des Finanzierungsvolumens, mit erstmals mehr als 200 Millionen Euro
Auch im Finanzierungsvolumen werden wir eine Trendwende erleben. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Venture Capital Investoren werden weiter Kapital investieren, allein um ihre Fondlaufzeiten nicht zu gefährden. Dies wird jedoch deutlich zurückhaltender geschehen und sich vermutlich stark auf Anschluss- bzw. Brücken-Finanzierungen fokussieren. Sollten überhaupt noch Investments in neue Unternehmen getätigt werden, erwarten wir sinkende Bewertungen, womit oft auch das Volumen sinkt. Erschwerend kommt hinzu, dass Immobilienunternehmen ihre strategischen Investitionen in PropTechs sehr wahrscheinlich völlig aussetzen werden. Eine Ausnahme könnten Übernahmen von in Schieflage geratenen Unternehmen darstellen. Aber hier wird bei Weitem nicht das Volumen aus dem letzten Jahr erreicht werden.
Aussage 3: PropTechs im Bereich Vermitteln erzielen nach wie vor das höchste Finanzierungsvolumen
Aufgrund der Veränderung im Investitionsverhalten von VCs und Strategen ist schwer zu beurteilen, wie sich die Verteilung des Volumens entwickeln wird. Wir erwarten jedoch, dass der Bereich „Vermitteln“ vergleichsweise stark betroffen sein wird. Denn Transaktionen, besonders im gewerblichen Bereich, sind aktuell nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Gerade ausländische - vor allem US-Amerikanische - Investoren haben Kapitalflüsse reduziert, wenn nicht sogar gestoppt. Deshalb wird das Vertrauen in Geschäftsmodelle rund um Transaktionen eher sinken. Ein kleiner Lichtblick bleibt: In Krisen offenbaren sich oft die größten Chancen für disruptive Geschäftsmodelle. Vielleicht beschert der Corona-Virus dem Immobilientransaktionsgeschäft also die lang ersehnte Disruption der vielen Intermediäre und der nicht auf Leistungen basierenden Vergütungsmodelle.
Betrachtet man allein die Kennzahlen Marktgröße und Finanzierungsvolumen, lässt sich erkennen, dass die Auswirkungen des Corona-Virus vielschichtig und tiefgreifend sein werden. Es lassen sich aber trotz alledem auch positive Effekte erwarten. Grundsätzlich erfährt das Thema Digitalisierung aktuell extrem hohe Aufmerksamkeit, und das endlich nicht nur in Reden und Strategien, sondern umso mehr in konkreter Umsetzung. Auch wenn es manchmal nur die Ausstattung der Mitarbeiter mit mobilen Arbeitsgeräten oder Video-Konferenz-Tools ist, tut sich in so gut wie jedem Unternehmen etwas. Darüber hinaus haben Gründer und Wagniskapitalgeber in der aktuellen Situation zwei große Vorteile: Beide Gruppen sind es gewohnt unter Unsicherheit zu Handeln sowie Entscheidungen zu treffen, und sind geübt darin, agil auf Veränderungen zu reagieren. Damit haben sie die beste Grundlage die Chancen, die sich aus der Krise ergeben werden, für sich zu nutzen. Um beim Hype-Cycle zu bleiben: Das Tal ist definitiv länger geworden, aber noch lange keine unüberwindbare Schlucht.
Ich bedanke mich bei Jakob Schulz von blackprint booster für seine spannende Einschätzung zur PropTech-Szene 2020!